This is the text of my paper to the Konrad Adenauer Stiftung symposium in Cadenabbia, Italy, on Religion in the Public Space on 29 October 2013.
Der Weg der Kirche von England gegenüber Unwissen und Distanz zu religiösem Glaube
Ich möchte mit einer Frage anfangen: Für wen ist die Kirche von England eigentlich da? Denn, wie Bob Dylan es formuliert: “The times they are a-changin'”. Und die Kirche existiert nicht primär für diejenigen, die jeden Sonntag an einem Gottesdienst teilnehmen, sondern für alle, die in England leben, ob sie gläubig sind oder nicht.
In England unterliegen wir nicht dem Irrtum, das Christentum sei tot. Es sind diejenigen Formen des Christentums und der Kirche, die im Britischen Empire entstanden und im 19. Jahrhundert exportiert wurden, die im 20. Jahrhundert anfingen dahinzusiechen, als Europa von Kriegen und Gewalt erschüttert wurde und Fragen laut wurden über Gott, die Geschichte und die Rolle (Bedeutung? )der Menschheit. Die bisherigen Überzeugungen über den Platz und die Rolle der Kirche in der Gesellschaft wurden in diesem Jahrhundert erschüttert, und zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind Religion allgemein und das Christentum im besonderen leichte Beute für herablassende Ablehnung sowohl in der akademischen wie der populären Kultur.
Heutzutage müssen wir einfallsreich, selbstbewusst und fantasievoll sein, wenn wir den Ort und die Bedeutung des christlichen Glaubens für das persönliche und das öffentliche Leben beschreiben und dafür streiten wollen. Wir müssen Wege finden, das Evangelium von Jesus Christus so zu beschreiben – und als Zeugen dieses Evangeliums zu leben – die Menschen zur Kirche ziehen. Und wir müssen junge Christen ausbilden, die bislang keine Ahnung haben von der Bibel oder irgendeiner christlichen Geschichte. Mit anderen Worten: Die Kirche muss sich ihren Platz in der Gesellschaft verdienen und sie muss im öffentlichen Raum selbstbewusst agieren; die Kirche kann nicht davon ausgehen, einfach einen Platz in der Nation oder eine Stimme im öffentlichen Raum zu besitzen.
Diese Einsicht ist besonders wichtig in einer Zeit, in der der Säkularismus stärker wird – insbesondere in der Gestalt der aggressiven neuen Atheisten. Terry Eagleton (prominente britische Professor of Cultural Theory and English Literature) wirft den neuen Atheisten vor, einen billigen Atheismus zu betreiben – ohne die intellektuelle Anstrengung des Nachdenkens und Debattierens selbst zu leisten, sondern stattdessen auf dem Rücken anderer Leute wie (Professor) Richard Dawkins zu reiten, der, statt über einen Fall zu diskutieren, einfach eingängige Feststellungen trifft.
In England hat der Aufstieg des Säkularismus, begleitet von der modischen und oft vereinfachenden Missionierung durch die neuen Atheisten, eine Atmosphäre sowohl von Skepsis (die meiner Meinung nach ganz gesund ist) und Zynismus (der ungesund ist) geschaffen. Man könnte einiges sagen über die Art und Weise, wie diese Debatten in den Medien geführt werden, aber für meine Zwecke hier genügt es zu sagen, dass es zumindest einen sehr hilfreichen Effekt auf die Kirche hat: Christen müssen stärker nachdenken, sie müssen ihren Glauben kennen und ihn leben, sie müssen sich bewusst für ein Leben in der Kirche entscheiden (und nicht einfach hineingeboren werden) und müssen selbstbewusster sein als Christen in der großen weiten Welt. Religiöser Glauben darf sich genauso wenig in die geschützte Privatsphäre zurückziehen, wie die Säkularisten allein Anspruch auf den öffentlichen Raum erheben dürfen.
Dies ist der kulturelle Hintergrund, vor dem alles andere in England stattfindet. Eine Wissenschaftlerin, mit der ich neulich sprach, beklagte sich bitterlich über die Unwissenheit von Schülern und Studenten im Blick auf Religion allgemein und das Christentum im Besonderen. Wie soll man englische Geschichte, Kunst, Literatur, Poesie oder Musik verstehen, ohne ein paar grundlegende Geschichten der Bibel und ihre Sprache zu kennen? Es ist ein bisschen so, als wollte man die deutsche Politik und Geschichte verstehen, während man die Reformation oder die Rolle des Christentums in Europa ignoriert.
In England bezeichnen wir das als ‚religiöses Analphabetentum‘ und es ist vor allem in Bezug auf die Medien von Bedeutung. Die BBC hat inzwischen eine interne Fortbildung, mit der sie den Versuch macht, Journalisten und Moderatoren im Blick auf die Rolle der Religion in der Welt weiterzubilden. Es ist einfach unmöglich, den Irak, Afghanistan, Syrien, den 11. September, die Vereinigten Staaten von Amerika – um nur ein paar zu nennen – ohne differentierte Kenntnis der Religion zu verstehen.
Vor zwei Wochen (am 17en Oktober) haben eine Medienfirma und der Theos Think Tank in London eine Initiative gestartet. Sie wollen regelmäßig kostenfreie Podcasts produzieren, die sich mit der sich wandelnden religiösen Landschaft Englands auseinandersetzen. In der entsprechenden Pressemitteilung heißt es:
“Der Kirchenbesuch ist in Großbritannien dramatisch zurückgegangen, nur noch 7 Prozent (der Bevölkerung) besuchen jede Woche einen Gottesdienst. Dennoch bezeichnet sich jeder Dritte derjenigen, die nie eine Kirche besuchen, als Christ, und mehr als jeder Dritte glaubt an eine höhere Macht. Weniger Menschen fühlen sich von organisierter Religion angezogen, aber mehr Menschen glauben an Engel – jeder Dritte tut das. Gleichzeitig erleben manche Glaubensgemeinschaften eine Blütezeit wie nie zuvor – von den schwarzen Pfingstkirchen bis zum Buddhismus. Dieses neue spirituelle Klima will „Things Unseen“ – Unsichtbare Dinge thematisieren, indem es zum Nachdenken anregende, intelligente Radiobeiträge als freie Downloads anbietet.
Unsichtbare Dinge will Themen anpacken, die im Blick auf das neue spirituelle Klima wirklich erstaunlich sind:
- Grenzphänomene religiöser Erfahrung, wie etwa „Phantombesuche“ von Sterbenden. Ein Wissenschaftler sagt, dies ist nicht einfach nur der Stoff, aus dem schlechtes Nachtprogramm im Fernsehen gestrickt wird – aber wie passen solche Phänomene in die Weltsicht des Christentums und anderer Religionen?
- Neue Dilemmata, wie zum Beispiel das ethische Minenfeld, das sich durch die Sozialen Medien in einer multi-religiösen Welt ergibt
- Die spirituelle Dimension der sogenannten human interest stories – der Geschichten, die das Leben so schreibt. Diese spirituelle Dimension wird selten betrachtet – zum Beispiel die langfristigen spirituellen Folgen für diejenigen Familien, in denen ein Angehöriger vermisst und niemals gefunden wird.”
Dies fasst die Situation in England ganz gut zusammen und – wie ich vermute – auch die Situation in anderen europäischen Ländern, wenngleich sie dort vielleicht noch nicht so klar erkennbar ist. Die Art und Weise, wie religiöser Glaube zum Ausdruck gebracht wird, verändert sich rapide und organisierte Religion sieht sich vor ernsthafte Herausforderungen gestellt.
Der Aufstieg von Säkularismen – und ich spreche hier ganz bewusst im Plural – baut Druck aus zwei entgegengesetzten Richtungen auf: (a) durch den Versuch, alles zu marginalisieren, was mit christlichem Glauben oder seiner Ausdrucksweise zu tun hat – in der Annahme, dass jede religiöse Weltanschauung nur eine Privatangelegenheit ist, während das, was wir den ‚säkularen Humanismus‘ nennen können, das Vorrecht auf den öffentlichen Raum hat, und (b) durch Formen des Multikulturalismus, die die Religion auf eine Anzahl vergleichbarer Phänomene reduziert und relativiert – aber ohne deren Inhalte ernst zu nehmen.
Seit dem 11. September wird dies noch verstärkt durch die Annahme vieler Politiker und Medienleute, dass Religion die Ursache eines Problems anstatt die Quelle der Lösung ist – und dass religiöse Menschen daran gehindert werden müssen, sich gegenseitig zu bekämpfen, auch dort, wo es gar keine Anzeichen für einen Konflikt gibt.
Daraus resultiert, was wir oben als ‘religiöses Analphabetentum‘ bezeichnen. In der Kirche von England setzen wir uns auf verschiedenste Weise und auf unterschiedlichen Ebenen damit auseinander. (Wenn Menschen fragen: ‚Warum tut die Kirche nicht etwas, um…‘, dann frage ich meist, wer denn ihrer Meinung nach ‚die Kirche‘ ist. Ist es der Pastor? Oder die Ortsgemeinde? Oder die Diözese, die Landeskirche? Oder die landesweite Kirche? Oder die Generalsynode oder die Bischöfe? Denn die Kirche von England arbeitet auf all diesen Ebenen.)
Auf nationaler Ebene beschäftigt sich die Kirche von England zum Beispiel durch das House of Bishops, durch die (26) Bischöfe, die im House of Lords sitzen, durch den Ausschuss für Mission und öffentliche Angelegenheiten (Mission & Public Affairs Panel) in der Generalsynode und durch die Bildungsabteilung mit diesen Fragen, indem sie Richtlinien erarbeitet, Ressourcen zur Verfügung stellt und sich mit der Regierung, mit Politikern, Organisationen und anderen Gremien auseinandersetzt. Die Diözesen bieten Schulungen für die Geistlichen und die Laien an. Auf der Ebene der Ortsgemeinde (the parish) gibt es oft sehr kreatives Engagement in den Schulen und anderen lokalen Vereinen und Gemeinschaften. Bischöfe erheben die Stimme und engagieren sich in der öffentlichen Debatte, in akademischen Kreisen oder in den Medien – dazu werde ich gleich noch mehr sagen.
Ein konkretes Beispiel für diese Art der Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten der modernen Gesellschaft ist die große Anzahl an Glaubenskursen, die auf lokaler Ebene von den christlichen Kirchen angeboten werden. Vom ‚Alpha‘- oder dem ‚Emmaus-Kurs‘ bis hin zu neuen Materialien unter dem Titel ‚Pilgrim/Pilger‘, die das House of Bishops herausgegeben hat, zielen all diese Initiativen darauf, Menschen dort zu begegnen, wo sie in ihrem Leben gerade sind und mit all den Fragen, die sie gerade haben. Die Tage des gelehrten Monologs sind weitgehend vorüber – jetzt leben wir in einer Welt des Gesprächs, in der die Kirche ihre Anwesenheit rechtfertigen, und für das Recht gehört zu werden, streiten muss.
Die Kirche von England lernt, den Menschen dort zu begegnen, wo sie tatsächlich sind (und nicht, wo wir wünschten, dass sie sein sollten) und sie lernt – und das ist vielleicht noch wichtiger – in Sprachen zu sprechen, die gehört und verstanden werden können. In den letzten zehn Jahren haben wir tausende Projekte entwickelt, die wir „fresh expressions of church“ nennen: neue, frische Gesichter oder Ausdrucksweisen der Kirche. Dazu zählen innovative Gemeindeformen in Clubs, Kneipen, in Privathäusern oder sogar in Firmen. Nach und nach ermutigt das die Anglikaner, immer neu darüber nachzudenken, wie man Menschen in ihren jeweiligen Lebenszusammenhängen erreichen kann.
Diese neue Experimentierfreude in Sachen christlicher Verkündigung ist vielleicht am deutlichsten sichtbar in der Art und Weise, wie wir mit den Medien umgehen – insbesondere mit den Sozialen Medien. Ich will anhand einiger persönlicher Beispiele zeigen, was das mit unserer Relevanz zu tun hat.
Ich bin einer der so genannten Medien-Bischöfe der Kirche von England. Das bedeutet nicht nur, dass ich mit Medienpolitik auf nationaler Ebene zu tun habe, ich bin auch Vorsitzender einer Mediengesellschaft und ich gehe selbst regelmäßig auf Sendung. Mein Interesse dabei liegt weniger bei den christlichen Medienunternehmen, die den ohnehin schon Überzeugten predigen, sondern eher bei der BBC und anderen unabhängigen Medienproduzenten. Jede Programmsparte verlangt dabei einen anderen kulturellen Bezugsrahmen und eine andere Art von Sprache. Wenn ich zum Beispiel ein Manuskript für eine Ansprache auf BBC Radio 4 schreibe, gehe ich von einer gebildeten Zuhörerschaft aus, die über Email oder Twitter auf das Gehörte reagieren. Wenn ich eine Morgenandacht für die Chris Evans Frühstücksshow auf BBC Radio 2 schreibe – was ich regelmäßig tue – muss ich eine andere Form wählen – immerhin hören dort wöchentlich 10 Millionen Menschen zu, die sich nicht ausgesucht haben, mir inmitten des schnellen und trendigen Programmes zuzuhören. Und wenn Elton John neben einem sitzt, sieht man das eigene Zwei-Minuten-Manuskript noch mal mit ganz anderen Augen.
Diese Art des Engagiert-Seins verlangt Einfallsreichtum und einen gewissen Abenteuergeist. Man muss die Aufmerksamkeit des Publikums packen, muss ihre Vorstellungskraft reizen mit einer Geschichte oder einem Bild, muss etwas Sinnvolles sagen, das in der Erinnerung hängen bleibt und muss einen Mehrwert für das Programm insgesamt liefern. Mit anderen Worten: Der Inhalt muss zum Medium passen, denn das Medium legt alles andere fest. Ist das nicht der Ort, wo die Kirche sein sollte?
Nun, dies führt uns zu einer weiteren Frage in Bezug auf das religiöse Analphabetentum (oder das religiöse Unwissen). Gemeinsam mit anderen setze ich mich dafür ein, dass die BBC die Religion insgesamt einen anderen Stellenwert einräumt, indem sie einen Chefredakteur für Religion einsetzt. Es gibt einen Chefredakteur für Wirtschaft, für Politik, für Sport und so weiter. Ihre Aufgabe ist es nicht, für ihr Themenfeld zu missionieren, sondern die Ereignisse in diesem Bereich zu interpretieren – oder die Ereignisse in der Welt zu interpretieren, wie sie sich durch die Brille ihres Bereiches darstellen. Wie war zum Beispiel nach dem 11. September die wirtschaftliche Sichtweise, wie sich die Welt nun darstellt oder interpretiert werden sollte? Genauso sollten wir davon ausgehen, dass die Menschen die Welt um sie herum nicht vollständig verstehen können ohne ein gewisses Verständnis dessen, wie Religion funktioniert und welche Auswirkungen sie auf das Weltgeschehen hat.
Diese Art der Auseinandersetzung können nur einige von uns führen. Die Stimme des Gemeindepfarrers vor Ort hätte hier kein Gewicht; anders als die der Bischöfe, die durch ihre Erfahrung und ihre Beschäftigung mit den Medien eine gewisse Autorität in diesen Fragen erlangt haben. Gleichzeitig bietet die Kirche auf nationaler und regionaler Ebene viele Kurse an, um Christinnen und Christen zu ermutigen und zu befähigen, in den Medien aktiv zu sein, besonders in den Sozialen Medien wie Twitter, Facebook und so weiter.
Das Entscheidende ist, das religiöse Analphabetentum in vielfältiger Weise anzugehen, dem jeweiligen Anlass und der Art des Diskurses angemessen – und die Kirche von England tut das.
Der Schlüssel dafür ist Einfallsreichtum und Vorstellungskraft. Die Kirche von England gibt sich nicht der Nostalgie hin, indem wir uns wünschen, die Welt wäre anders – oder davon träumen, wie schön sie einmal war. Stattdessen suchen und ermutigen wir kreative Wege der Begegnung mit den Menschen, dort, wo sie sich in ihrem täglichen Leben befinden. Ja, das bedeutet auch viele Debatten mit den so genannten Neo-Atheisten und anderen. Ja, das bedeutet auch, auf Diskussionen zu antworten wie selbst welche zu beginnen. Es bedeutet aber auch, die in Politik und Medien weitverbreitete Annahme zu hinterfragen, dass Religion Privatsache sei und auf das Privatleben beschränkt bleiben sollte, damit der öffentliche Raum frei bleibt für diejenigen, die ihre eigene Weltsicht (oder kulturelle Prägung) für neutral halten.
In England sehen wir uns einer sich rasant verändernden kulturellen Landschaft gegenüber, besonders im Blick auf den Multikulturalismus. In Bradford, wo ich lebe, sind 80 Prozent der Einwohner asiatisch-stämmige Muslime. Was heißt es, in einer solchen Gemeinde anglikanische Kirche zu sein? Diese Frage haben wir im September bei einer Konferenz behandelt, als die Meissen Kommission nach Bradford kam und wir untersucht haben, wie ‚Kirche‘ in einem solchen Kontext aussehen kann. Kern unseres anglikanischen Ansatzes ist ein Ausdruck, den wir für unsere Beziehungen mit Menschen anderer Religionen verwenden: Presence and Engagement Da-Sein und Engagement (Anwesenheit und Einsatz?)
Wir sind geographisch und territorial, wir sind physisch anwesend in unsere Gemeinde und bieten den Menschen um uns herum Raum und Beziehung. Der Ausdruck ‚Presence and Engagement‘ bringt den anglikanischen Ansatz auf den Punkt, wie wir unsere Aufgabe in England auf allen Ebenen sehen: Wir sind da und wir sind bereit, uns die Hände schmutzig zu machen.
Mir scheint, dass dies am besten – und am präzisesten – illustriert, wo sich die Kirche von England sieht (d.h. wie die Kirche von England ihre Rolle und ihre Aufgabe sieht) in einer Gesellschaft, in der Religion oft missverstanden, falsch dargestellt oder ignoriert wird. Es gibt schlimmere Orte…
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