This is the basic text of a speech given yesterday evening in the Landtag of Niedersachsen in Hannover at a Parliamentary Evening put on by a federation of churches.

Herzliche Grüße aus Brexitannia! Es ist wirklich für mich ein Privileg, noch einmal hier in Hannover zu sein.

Vielen Dank für die Einladung, heute hier in Deutschland England zu erklären. Wir brauchen nur zwei Minuten, denn alles ist einfach und klar. Verstehen Sie, die politische Situation in Großbritannien ändert sich zweimal im Tag, jeden Tag. Aber im ganzen Durcheinander über Brexit bleibt nur eine Tatsache wichtig: FC Liverpool steht an der Spitze des Premier League. Alles ist in Ordnung!

Wie erklärt man England? Oder was in Großbritannien heutzutage passiert? Manche Engländer erkennen ihr Land einfach nicht mehr an. Innerhalb dreieinhalb Jahren ist die politische Kultur schiefgegangen und viele Briten fühlen sich erschrocken – sie verstehen nicht mehr, wer wir tatsächlich sind. Die Chinesen haben ein berühmtes Sprichwort: „Mögest du in interessanten Zeiten leben.“ Aber dieses Sprichwort ist kein Segen, sondern ein Fluch. Wären nicht langweilige Zeiten mal schön?

Ich bin sowohl Bischof als auch Politiker.  Manche Menschen in Großbritannien finden dies ein schwieriges Konzept – sie verstehen das überhaupt nicht. Christen sollten sich auf das Reich des Geistigen beschränken und sich aus der Politik heraushalten, sagen sie.  In der Politik geht es jedoch um das menschliche Leben, die richtige Ordnung der Gesellschaft und das Gemeinwohl.  Ein Christ kann es nicht vermeiden, sich in die Politik einzumischen.  Aber ich bin ein Politiker bestimmt deswegen, weil ich im Oberhaus des Parlaments sitze.  Das Unterhaus wird gewählt;  Das House of Lords wird ernannt, und 26 Bischöfe der Church of England – Diözesanbischöfe – sitzen (aufgrund ihres Dienstalters) im Haus.  Die Bischöfe sind aufgrund des Pfarrsystems mit jeder Gemeinde in England verbunden.  Wir wissen also, was auf dem Boden im ganzen Land vor sich geht.  Im House of Lords vertreten die Bischöfe keine Partei, kein Block, man kann sie nicht peitschen oder ihnen sagen, wie sie wählen sollen. Jede Bischöfin und jeder Bischof muß entscheiden, was sie oder er in einer Debatte sagen sollte und wie sie oder er abstimmen sollte.  Ich „führe“ für die Bischöfe in Sachen Europa und damit den Brexit an.  (Ich führe auch in Sachen Russland, Sicherheit und Geheimdienste wegen meiner vorherigen Karriere in den Geheimdiensten an.)

Ich kann nicht heute Abend alles sagen, was gesagt werden sollte. Zum Beispiel, welche Rolle spielen die Bischöfe und Bischöfinnen im House of Lords und im öffentlichen Gespräch über politische Entwicklungen in Großbritannien? Wir sind nicht parteipolitische Spieler. Deswegen haben wir eine Verantwortung, die Wahrheit auszusprechen, eine klare Licht auf politische Aktivitäten und Kultur zu werfen, und durch eine Evangeliumslinse hinauszuschauen.

Der beste Weg, um zu verstehen, was heute in Großbritannien passiert, ist folgender: Die britische Demokratie wird in einem System parlamentarischer Demokratie ausgeübt.  Dieses System hat keinen Platz für ein Referendum oder Volksabstimmung (direkte Demokratie).  Es ist problematisch, dass Politiker aller Parteien vor dem Referendum in Juni 2016versprachen, dass das Ergebnis gewürdigt und der „Wille des Volkes“ befolgt werde.  Erst als das Ergebnis den „falschen Weg“ einschlug, wurde den Menschen klar, dass (a) in einem parlamentarischen System ein Referendum nur beratend sein kann und (b) die Antwort auf die Frage keinen Hinweis darauf gibt, was „Verlassen der EU“ in der Praxis bedeuten könnte.  Das Parlament hat die Verantwortung, nach bestem Wissen und Gewissen Gesetze im besten Interesse des Landes zu erlassen – aber was passiert, wenn dies der im Referendum getroffenen Wahl widerspricht?  Deshalb sind wir in einem Durcheinander.  “Die Kontrolle zurückerobern” ist ein einfacher Slogan.  “Parlamentarische Souveränität” hört sich wichtig an … am wenigsten bis das Parlament seine Souveränität bestätigt und dann beschuldigt wird, den Willen des Volkes vereitelt zu haben.

Jetzt können Sie vielleicht besser verstehen, warum es so ein Durcheinander ist.  Und die Brexiter verwenden jetzt die Sprache “Parlament gegen das Volk” und “Richter gegen das Volk”. Es scheint, dass ‚das Volk‘ nur die Brexiter beschreibt. Das britische Volk ist gespaltet. Das Parlament spiegelt dieses gespaltene Land wider.

Jetzt aber ist mir klar, dass der Brexit außerhalb der Insel anders aussieht, und viele Beobachter schockiert sind über das, was der britischen politischen Kultur in den letzten drei Jahren widerfahren ist.  Lassen Sie mich kurz einige Punkte ansprechen.

Erstens ist es wichtig zu erkennen, dass der Brexit im Wesentlichen ein englisches und kein britisches Problem ist.  Ein berühmter englischer Journalist schrieb vor zwanzig Jahren ein Buch mit dem Titel “The English”.  Jeremy Paxman erklärt an einer Stelle, dass ein wesentliches Element der irischen oder schottischen oder walisischen Identität besteht darin, dass ich “nicht englisch” bin.  Aber es ist sinnlos, wenn ein Engländer sagt: “Ich bin kein Schotte, usw.” Die Schotten haben ein Parlament, die Waliser eine Versammlung, die Iren auch eine Versammlung;  und die Engländer?  Nur Westminster.  Die letzten drei Jahre haben den Walisern, Schotten und Iren gezeigt, dass die Engländer sich nicht um sie kümmern.  Umfragen zeigen, dass Brexiteer bereit sind, das Ende der Union als geringen Preis für den Brexit zu sehen.  Es ist durchaus möglich, dass der Brexit zu einem vereinigten Irland und einem unabhängigen Schottland führen wird.  Wir erinnern uns daran, dass im Jahre 2014 David Cameron die Schotten überzeugte, gegen die Unabhängigkeit zu stimmen, mit der Begründung, sie müssten die EU verlassen …

Zweitens war der Brexit immer ein Versuch der Konservativen Partei, ein internes Problem zu lösen.  Die EU-Frage hat die Partei jahrzehntelang geteilt, und keine der beiden Hauptparteien hat sich jemals für die EU eingesetzt.  Es gibt auch ein Argument dafür, dass die Natur der EU als eine sich entwickelnde politische Union in Großbritannien niemals ehrlich anerkannt wurde – was zu wachsendem Ressentiment und nachlassendem Vertrauen unter Politiker und Institutionen geführt hat.  Aber es bleibt wahr, dass viele Menschen in Großbritannien glauben, dass der Brexit eine Tory-Lösung für ein Tory-Problem ist, um den Tories zu ermöglichen, an der Macht festzuhalten.  David Cameron glaubte nicht, dass er das Referendum im Jahr 2016 verlieren würde – weshalb er dem öffentlichen Dienst keine Vorbereitungen für eine Leave-abstimmung erlaubte.

Drittens hat der Brexit tiefe Spaltungen in der britischen Gesellschaft aufgedeckt. Brexit hat sie aber nicht erschaffen.  Der neoliberale Globalisierungstraum ließ viele Gebiete des Landes und viele Gemeinschaften mit dem Gefühl, dass sie übersehen, vergessen oder ignoriert seien.  Ja, die ärmsten Gebiete des Vereinigten Königreichs haben für den Austritt aus der EU gestimmt, obwohl sie über vier Jahrzehnte hinweg in hohem Maße von EU-Subventionen und Projektfinanzierungen profitiert haben.  Warum?  Einige sagen, dass das Leben für sie einfach nicht schlimmer werden kann. Warum also nicht die Gelegenheit nehmen, gegen die Politiker zu treten?  Dies wurde von denjenigen ausgenutzt, die sich als “gegen die Eliten und gegen das Establishment” positionieren – obwohl die meisten von ihnen wohlhabend, privilegiert und von keinem durch den Brexit verursachten Schaden betroffen werden.  Kurz gesagt, das Problem besteht darin, dass die EU nicht für die Dinge verantwortlich ist, gegen die gestimmt wurde. Deshalb wird die Operation des Brexit die Krankheit nicht heilen oder ihr Leben verbessern.  Aber Brexit hat wenig mit Realität oder Fakten zu tun; Brexit geht um etwas vitzerales. Also, was machen wir dann?

Viertens hat der Brexit nicht nur das Vertrauen in unsere Institutionen und Politiker geschädigt, sondern auch die Rechtsstaatlichkeit wurde von einer Regierung bedroht, die für schuldig im Supreme Court befunden wurde, gegen das Gesetz verstoßen zu haben.  In der Vergangenheit hätte dies zu einem Rücktritt geführt.  Heute aber gibt es keine Schande mehr;  und Lügen, Manipulation und falsche Darstellung sind die akzeptablen Merkmale eines politischen Spiels geworden.  Unser öffentlicher Diskurs wurde korrumpiert.  Schlimmer noch, unsere Abgeordneten werden täglich mit Gewalt und Tod bedroht – genau wie ihre Familienmitglieder.  Ich erinnere mich gut an den Mord an Jo Cox eine Woche vor dem Referendum im Jahre 2016 – ich war innerhalb einer Stunde dabei;  es geschah in meiner Diözese und nur acht Meilen von meinem Wohnort entfernt. Ich kenne ihre Familie.

Also, die Zukunft?

Erstens: Wir werden wahrscheinlich die Europäische Union verlassen, aber wir werden Europa nicht verlassen.  Unsere starken Verbindungen in ganz Europa werden in den kommenden Jahren noch wichtiger.  Großbritannien musste sich seit dem zweiten Weltkrieg nie damit abfinden, bloß eine kleine Nordatlantikinsel ohne Imperium zu sein.  Der Brexit wird, denke ich, das Ende des Mythos vom britischen Imperium bedeuten.  Britische Zeitungen und Politiker erinnern sich immer wieder daran, wie wir den Krieg (alleine) gewonnen haben.  Endlich müssen wir jetzt mit der Realität leben und nicht mit romantisierten Erinnerungen des letzten Jahrhunderts.  Nach 1945 mussten sich die Deutschen mit ihrer Geschichte, Identität und ihren Fehlern auseinandersetzen.  Die Briten mussten das noch nie tun.  Wir werden es jetzt tun müssen. Ich stimme mit der Philosophin Susan Neiman überein, als sie sagt in ihrem neuen Buch Learning from the Germans: „Nostalgische Sehnsüchte nach Imperium und Sentimentalismus im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg weisen nicht nur auf außergewöhnliche Mängel des öffentlichen Gedächtnisses in Großbritannien hin, sondern auch auf die Unfähigkeit, mit der Geschichte reif zu rechnen. Neil MacGregor hat gesagt: „Die Deutschen nutzen ihre Geschichte, um über die Zukunft nachzudenken, während die Briten ihre Geschichte nutzen, um sich zu trösten“.

Zweitens: Die Europäer müssen anerkennen, dass fast die Hälfte der Wähler für einen Verbleib in der EU gestimmt hat – und auch dass die Verbundenheit mit der EU seit dem Referendum gewachsen ist.  Deutschland und Europa haben viele Freunde in Großbritannien und wir brauchen Ihre Freundschaft, um eine andere Zukunft zu gestalten.

Drittens: Ich denke (aber ich könnte mich irren), dass die Union nicht lange überleben wird.  Alles deutet darauf hin, dass Schottland jetzt für die Unabhängigkeit stimmen würde;  Irland könnte sich gut vereinen – etwas, was die IRA in vierzig Jahren Terrorismus und Gewalt nicht erreichen konnte;  sogar Wales spricht von einer Trennung von England.  Wir werden mal sehen. Aber der Prozess und die Abwicklung des Brexits haben alles geändert und viel geschädigt.

Letztens: Niemand kann die Zukunft vorhersagen.  Wir erleben heute im Westen einen großen Konflikt zwischen Liberalismus und anderen Mächten.  Der Liberalismus ist in Zukunft keine Selbstverständlichkeit.  Die Kirchen müssen Orte der Begegnung und Unterhaltung, der Debatte und der Wahrheitsfindung sein, wenn die Welt über Trump und Johnson, Bolsonaro und Orban und so weiter verhandelt.  Der Illiberalismus wird die Westeuropäer dazu zwingen, die Wurzeln ihrer Annahmen über Menschenrechte und Verantwortlichkeiten wieder zu entdecken, und das könnte letztendlich eine gute Sache sein.

Zum Schluss möchte ich ein Buch empfehlen.  Der britische Historiker Tom Holland: “Dominion: The Making of the Western Mind” ist ein brillanter Lauf durch die christliche Geschichte, in dem deutlich wird, wie sehr selbst die säkulare Kultur im Westen von christlichen Annahmen geprägt ist.  (Das letzte Kapitel ist ziemlich seltsam, aber der Rest des Buches ist ausgezeichnet.)

Die politische Spannungen in Deutschland sind anders als diejenigen in Großbritannien, aber die hinterlegenden Fragen über Links/Rechts weisen einige Ähnlichkeiten auf. Die Herausforderungen, vor denen jedes Land in Bezug auf Stabilität und den Machtwechsel zu einer neuen Generation steht, sind klar. Das Buch von Tom Holland fordert uns implizit und explizit dazu auf, unsere gemeinsamen Wurzeln wieder zu entdecken, uns den aktuellen Umwälzungen dieser Wurzeln zu stellen und die Zukunft mit Mut, Entschlossenheit und Weitblick zu gestalten. In Großbritannien und Deutschland stehen wir vor Identitätsfragen: wer sind wir und woher stammen wir. Die Antworten sind wichtig.

Und ich habe gerade einen SMS bekommen. Boris Johnson wird am kommenden Montag noch einmal versuchen, eine Parlamentswahl anzukündigen.

Und FC Liverpool steht immer noch an der Spitze des Premier League.